Ich war sehr jung, als der Zusammenbruch Frankreichs im Jahre 1940 geschah. So konnte mein Inneres noch nicht die vaterländischen Gefühle spüren, die jene antrieb, die den Untergang des Vaterlandes nicht zulassen wollten.
1942 jedoch war ich Zeuge so vieler schändlicher Taten unserer deutschen Feinde, dass ich mich entschied, im September in die Bewegung FTP (die FTP wurden Ende 1941 von der Kommunistischen Partei Frankreichs gegründet) in Chartre einzutreten.
Eines Tages - das Datum kann ich nicht mehr genau ausmachen – zog ich los, meinem Kameraden Guy Deseyne zu folgen. Ich trat in die Gruppe der Resistance ein. Ab da wurde ich von meinen Vorgesetzten für gefährliche Aktionen eingesetzt.
Bis zum 06.07.1944, dem Tag meiner Verhaftung, habe ich die Aufgaben, die man mir anvertraute, gewissenhaft erfüllt.
An diesem Tag wurde Roger Detournay 17 jährig in der Nähe von Chartre als Widerstandskämpfer verhaftet. Nach unzähligen Verhören, Schlägen und Folter wurde er zum Tode verurteilt und erwartete seine Hinrichtung. Nach langer Haft in Chartre und Paris wurde er mit dem letztem Gefangenentransport - kurz darauf wurde Paris befreit – in das KZ Buchenwald deportiert.
Am 20.August erreichten wir Buchenwald. Hier wurden wir gezählt. Wir standen auf einem großen Platz vor dem Lager. Wir bemerkten von hier aus einen großen quadratischen Schornstein. Ich nahm an, meine Kameraden auch, es sei die Küche. Ich erinnere mich, dass er zu rauchen schien. Dann kapierte ich, dass es der Schornstein des Krematoriums war.
Unsere Tage vergingen mit Appellen und Gegenappellen, mit Befehlen und Gegenbefehlen unserer Peiniger. Für Nichts wurden wir gequält. Sie verboten sogar sich zu den Latrinen zu begeben. Mir blieb nichts weiter übrig, als fast vierzehn Tage draußen zu schlafen.
Dann wurde ich zum Arbeiten ausgesucht. Ich musste Leichen transportieren. Ich musste sie bis zum Verbrennungsofen des Krematoriums bringen. Ich hatte es natürlich mit Toten zu tun, aber leider, manche lebten noch und schrieen, wenn wir sie auf die Leichenberge ablegten. Es war ein höllisches Geschehen und hinterließ in mir die schlimmsten Eindrücke meiner gesamten Gefangenschaft.
Als gelernter Dreher erfolgte am 04.09.1944 seine Deportation in das Außenlager Rebstock in Dernau (40 km von Koblenz entfernt).
Ich arbeitete in einem Stollen. Ich fertigte Teile für die V2. Die Arbeit war ziemlich hart, aber mehr litt ich unter Hunger und den Bedingungen, unter denen ich die zugewiesene Sträflingsarbeit ausführen musste. Wir kamen nicht mehr aus dem Stollen heraus. Nicht nur dass wir dort arbeiteten, wir aßen und schliefen auch hier. Während dieser drei Monate wurde ich glücklicherweise nicht krank. Kranke „heilte“ man einfach mit einem Kopfschuss.
Ungefähr Mitte Dezember kam ein Befehl zur Evakuierung. Das freute uns, denn wir konnten die Höhle unserer traurigen Erinnerung verlassen. Unsere Fahrt dauerte drei lange Tage. Dann erreichten wir Artern.Wir hatten keineswegs unser Leben gewechselt, waren nicht etwa an menschliche SS'ler geraten. Ich erinnere mich, dass man uns hier in der Weihnachtsnacht mit bloßen Füßen im Schnee stehen ließ. Ein Kamerad versuchte zu fliehen, er wurde gefasst und danach erhängt. Dem Lagerkommandant war nichts Besseres eingefallen, als in dieser Weihnachtsnacht den Leichnam vor unseren Augen an einen Balken zu hängen. In diesem Kommando hatte ich in einer großen Werkstatt (Radio)Teile zu montieren. (Teile für die Leitsysteme der V2)
Eines Morgens begannen die deutschen Meister und Arbeiter damit, eilig alle Maschinen, die für unsere Arbeit nötig waren zu verschrotten. Am nächsten Morgen erreichte das Lager eine Anordnung. Das Kommando sollte geräumt werden. Wir marschierten 35 km zu Fuß über Bottendorf, Roßleben, Wangen, Nebra, Laucha, Naumburg, Stößen, Zeitz, Rehmsdorf.
Am 5. Tag erreichten wir ein Lager für Juden in Rehmsdorf.
Erneuter Aufbruch des Räumungstransportes, nun mit der Bahn, die zwischen die Fronten geriet: über Altenburg, Gößnitz, Glauchau, Chemnitz, Flöha, Pockau-Lengefeld, Marienberg, Reizenhain. Nach Angriffen ging es zum Teil zu Fuß weiter Viele Tote waren zu beklagen aufgrund von Hunger, Kälte und Erschießungen durch die SS.
Von Reitzenhain ging es, Roger Detournay nennt es den Todesmarsch, über Hora Svateho, Sebastiana, Postoloprty, Locosice, Litomerice, Terezin (Teresienstadt) nach Prag.
Sobald es Kranke gab – vor Hunger oder Erschöpfung – wurden sie von den „boches“ getötet. Eines Abends behauptete ein SS-Wachmann, es seien 500g Brot gestohlen worden. Das geschah im zweiten Waggon entfernt von dem meinen. Die 80 Mann mussten aussteigen. Als Strafmaßnahme mussten sie „Gymnastik“ machen. Wer diese Schikane nicht mitmachte wurde sofort getötet. Wahrscheinlich gab es 35 Tote, manche meinten es wären 40 gewesen. Am nächsten Morgen befahl man mir und fünfzehn meiner Kameraden, die Opfer zu begraben. Wir legten die blutigen Leichen in ein Massengrab zusammen mit denen, die an Erschöpfung gestorben waren. Ein SS-Offizier sah uns dabei zu. Da einige nicht ihr Käppi zogen, erschoss er noch fünf Mann dazu.
Nach einem Marsch, der mir unendlich schien, denn ich war völlig am Ende meiner Kraft, kamen wir in eine große tschechische Stadt. Die Tschechen gaben uns ausreichend zu essen. Viele starben trotzdem. Am nächsten Morgen erneuter Aufbruch. Abends waren wir in der Umgebung von Prag. Hier versuchte ich mich in Sicherheit zu bringen. Glücklicherweise hatte mich kein SS-Wachmann bemerkt. Ein Tscheche las mich auf und brachte mich in ein Hospital, wo ich von Ordensschwestern sehr liebevoll gepflegt wurde.
Vom Bett aus hörte ich dann den Kampflärm der kriegerischen Auseinandersetzungen, die sich in der Stadt abspielten. Am 11.05.1945 hörte die Schießerei auf. Prag war in die Hände der Russen gefallen. Ich war frei. Fünf oder sechs Wochen danach, am 17.Juni, stieg ich in ein Flugzeug und war am Abend in Paris. Am nächste Tag, dem 18.Juni war ich in Jony. Mein Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwester waren außer sich vor Freude. Ich war es auch.
Geschrieben im Schloss du Corvier a Vouzon am 23.20.1945, Roger Detournay